Das Berater-Home-Office - Freiheit oder Hamsterrad?

Eine aktuelle Studie von bitkom[1] zeigt, dass die Zufriedenheit im Home-Office steigt. Nur 13% schätzen ihre Arbeitsbelastung als höher und sogar 80% ihr Stresslevel als niedriger als vor dem Home-Office ein. Klasse – oder doch nicht?

 

Auch wenn die Zahlen sicherlich nicht lügen, erlebe ich in meinen Gesprächen mit Klient*innen aus der Unternehmensberatung häufig das Gegenteil:

  •  15 Meetings pro Tag sind keine Seltenheit, sondern die Regel.
  •  Aufgrund der vielen Meetings bleibt wenig Raum für richtige Arbeit.
  • Der früher ruhigere Freitag ist genauso vollgepackt mit virtuellen Meetings wie der Montag. 

Mehr Flexibilität also doch gleich mehr Arbeit anstatt mehr Freiheit?

 

Zugegeben es gibt auch in der Unternehmensberatung Zeitgewinn: Beispielsweise nicht den ersten Flieger oder eine frühe Bahn am Montagmorgen nehmen. Dienstreisen fallen größtenteils weg. Wenn auch zum Teil wegen CoVid-19 und nicht nur weil das Home-Office so gut funktioniert. Doch auch wenn es um 6:00 Uhr morgens montags selbst in der Beratung kaum Meetings geben wird, stellt sich die Frage: Wozu wird die entstehende freie Zeit genutzt? Sport am Morgen, Zeit mit Familie, Fokus und Struktur für das Wesentliche diese Woche im Job? Oder doch das erste Daily um 07:30 Uhr und natürlich abends nach 18:00 Uhr auch noch virtuelle Meetings – man konnte dafür ja auch länger schlafen.

 

Berater sind leistungsfähige Maschinen. Sie arbeiten im Idealfall zielstrebig, kundenorientiert und motiviert mit dem Wunsch Firmen organisatorisch, prozessual und menschlich weiterzuentwickeln. Damit das gelingen kann, benötigen Sie vor allem zwei Dinge: Raum und Zeit zum Denken.

 

Raum und Zeit – dank Berater-Home-Office endlich vorhanden?

 

Fangen wir mit dem Raum an. Das eigene ruhige Arbeitszimmer im eigenen Haus auf der 2. Etage weit entfernt vom Familienalltag bietet da ja alles was man haben muss. Dumm nur, dass ein Großteil gerade der junioren Berater eventuell doch eher in einer WG oder in einer 2-3 Zimmer-Wohnung mit Partner*in, der oder die natürlich auch im Home-Office arbeitet, wohnt. Glücklich wer da Single ist! Wobei dem/der fehlen gerade noch mehr sozialer Kontakt und Beziehungselemente, doch dazu mehr im nächsten Artikel. Raum und Ruhe können also vorhanden sein, sind aber keine Selbstverständlichkeit.

 

Zum Aspekt der Zeit: Ich erlebe Partner*innen in der Beratung, die bereits in virtuellen Meetings und noch dazu in täglich hunderten von E-Mails untergehen. Doch wenn es bereits die Führungsetage so trifft, was machen dann die operativen Ebenen darunter? Meinem Erleben nach nicht früher Feierabend. Der Call der halt erst nach 18:00 Uhr ging mit Senior Manager und Co, weil vorher der Kunde Aufmerksamkeit benötigte, wird pflichtbewusst wahrgenommen. Klar hatte auch der Senior Consultant vorher durchgehend Meetings mit der Kundin und würde eigentlich gerne noch Dinge abarbeiten. Das geht aber ja auch später. Nach 19:00 Uhr ist ja auch noch Zeit.

 

Zuletzt zu Raum und Zeit. Die Meetings finden heute im virtuellen Raum statt. Während man früher beim Kunden um 14:50 mit dem Kolleg*innen loslief Richtung Meetingraum für das 15:00 Uhr Meeting, ist heute der nächste Raum 3 Klicks entfernt: Meeting verlassen, Kalender-Meeting öffnen, Link anklicken. Das geht auch um 15:00 Uhr noch rechtzeitig. Technisch rechtzeitig. Gedanklich auch?

 

Natürlich sind Berater geistig schnell und flexibel. Doch zwischen Meeting Nummer 14 und 15 ist der menschliche Geist zumindest ermüdet vom schnellen permanenten Wechsel. Wenn nicht Montag spätestens Mittwoch. Bei den leistungsstärksten Maschinen meinetwegen Donnerstag. Gut, dass der Freitag ruhiger wird!

 

Falsch gedacht – leider. Ein Arbeitspensum von Montag bis Donnerstag von 45-50 Stunden kam früher häufig vor in der Beratung. Dann war Abreise und Freitag im Office aber auch um 15/16 Uhr Feierabend. Ausruhen von der anstrengenden Woche – verdient. Heute sind Berater freitags allerdings genauso verfügbar wie Montag bis Donnerstag. Im Berater-Home-Office. Somit geht der Meeting-Marathon oft weiter. Das Stresslevel steigt und nach 5 Tagen mit 75 Meetings dient der Samstag nur der Regeneration – nicht der Freizeit.

 

Ein Hamsterrad also – ohne Ausweg?

 

Sicherlich nicht und gleichzeitig schwierig im Rahmen des Systems zu gestalten. Berater müssen lernen sich noch stärker abzugrenzen. Ist das Meeting wichtig? Bin ich wichtig für das Ergebnis des Meetings? Sind nicht 30 Minuten Offline-Arbeit wichtiger für das, was das Projekt gerade wirklich benötigt?

 

Falls der Schritt geschafft ist: Wie bringe ich das dem/der Projektmanager*in bei? Ich möchte nicht als Leistungsverweigerer dastehen, sondern Leistung bringen, aber effizient und zielorientiert. Als Projektmanager*in, als der/die man ja selbst nicht weniger, sondern eher mehr Meetings ausgesetzt ist, gilt es noch stärker zu fokussieren, priorisieren und zu hinterfragen. Die Meeting-Struktur und -Anzahl als auch sich selbst, falls Impulse von junioren Mitarbeiter*innen wie die oben genannten angeregt werden. Zuletzt müssen mögliche Meeting-Cuts auch gegenüber Kund*innen vertreten und erklärt werden können. Das ist aus meiner Sicht keine Schwäche, sondern Mut. Mut der benötigt wird – dringend.

 

Wir sollten nicht vergessen: Auch Berater sind eher leistungsfähige Menschen, anstatt leistungsfähige Maschinen. Und Menschen haben Grenzen. Grenzen die gestaltet werden müssen.

 


 

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Kommentare: 1
  • #1

    Marcel (Dienstag, 02 Februar 2021 16:54)

    Guter Artikel, ist auch meine Beobachtung!