Das Berater-Home-Office – der Sinn des Boreouts

Burnout kennt jeder. Doch seinem Verwandten dem Boreout wird bisher noch weniger Beachtung geschenkt. Studien sind rarer und doch ist das Thema akut, wie bspw. ein Beitrag der Techniker Krankenkasse[1] zeigt. Aber in der Beratung, wo alle stets schwer beschäftigt sind, da gibt es doch kein Boreout – oder etwa doch?

 

Das „Die Kundin mag mich leider“-Boreout

 

Viele Berater*innen kennen es: Ein neuer Kunde, ein neues Thema und eine neue Rolle. Das Projekt war zu Beginn spannend, anstrengend und die ersten Monate lernte man viel. Doch danach waren die Strukturen gesetzt und die Abwechslung im Project Management Office (PMO) eher begrenzt. Dumm nur, dass das Projekt 2 Jahre läuft. Noch dümmer: Die auftraggebende Kundin mag einen. Schließlich hatte man sich mit sehr guter Arbeit Vertrauen und durch sehr gute Soft-Skills eine persönliche, ja manchmal sogar vertraute Bindung geschaffen.

 

Weder die Kundin noch der Arbeitgeber haben also ein Interesse, das man vom Projekt abgezogen wird. Bezahlt werden schließlich weiterhin 40 Stunden von der zufriedenen Kundin, auch wenn inzwischen mehr Kaffee trinken als vertrauter Gesprächspartner als produktive Arbeit bezahlt wird. Langeweile macht sich breit, privates Surfen und WhatsApp-Nachrichten nehmen zu. Man fühlt sich unterfordert und doch ist es auch irgendwie verlockend gemütlich und bequem. Aber ist man zufrieden? Eher nicht.

 

Das „Ein Affe könnte meinen Job machen“-Boreout

 

Ein Chef in der Beratung sagte mal zu mir: Unseren Job hier könnte auch ein dressierter Affe machen. Unfassbar! Hochqualifizierte und leistungsstarke Berater*innen sind doch keine Affen! Natürlich nicht und doch gibt es sie – die „Affen-Projekte“. Ein Beispiel: Der Vorstand musste asap dieses strategisch wichtige, langjährige Programm initiieren. Kapazitäten waren rar intern. Berater*innen mussten her – eher gestern als heute – eher 20 als 5. Nun arbeiten 20 Berater*innen selten alle strategisch, sondern viele auch operativ. Doch wozu führt das?

 

Es entstehen nach der spannenden Analyse und Konzeption – wenig überraschend – repetitive operative Tätigkeiten, um das Programm umzusetzen. Einmal verstanden ist der Anspruch dieser Aufgaben meist deutlich geringer, wenn auch wichtig für die Umsetzung. So entsteht bei längeren Zeiträumen Unterforderung. Um im großen Team nicht aufzufallen werden Strategien der scheinbaren Beschäftigung entwickelt: Eifriges tippen im Chat mit dem Kollegen statt in PowerPoint oder Excel – dank Sichtschutz früher in Präsenz machbar oder das Strecken von Aktivitäten über Tage und künstliche Überstunden. Wenig nützlich geschweige denn sinnstiftend.   

 

Das Home-Office erhöht Intransparenz und verstärkt Boreout-Auswirkungen

 

In Zeiten des Home-Office führen beide Arten an „Boreout-Projekten“ zwangsweise zu Freiräumen, die noch intransparenter sind. Man sieht de facto nicht mehr was jemand macht. Die vom Boreout betroffenen Berater*innen haben also Zeit ihren Tag frei und flexibel zu gestalten. Positiv gesehen könnten hier Sport oder ein Buch lesen für die individuelle Weiterentwicklung der Einzelnen mehr Sinn stiften als Langeweile in Präsenzprojekten. Ist das nicht der Segen des flexiblen Home-Office? Wohl kaum.

 

Ein derartiges Boreout zehrt auf Dauer sehr an dem Energielevel, sodass es immer schwerer fällt sich für berufliche oder auch private Aktivitäten aufzuraffen. Auf Langeweile folgt oft Lethargie. Im Home-Office klingelt der Wecker 5 Minuten vor dem ersten Meeting, Wasser ins Gesicht und Haare, schnell einen ordentlichen Pullover angezogen und Kamera an! Echte Motivation sieht anders aus. Die Qualität selbst für die einfacheren Aufgaben sinkt auf Dauer. Vorgesetzte bemängeln die schwächer werdende Leistung und die Betroffenen werden immer unzufriedener mit sich: „Noch nicht mal die einfachen Aufgaben bekomme ich noch hin“. Ein Teufelskreis.

 

Wie kann ein Boreout also Sinn machen?

 

Die Realität: Viele Beratungen geben bspw. ungewünschten Berater*innen einfach weniger oder unterfordernde Aufgaben, damit diese selbst kündigen. Das ist leichter. Wertstiftender und sinnvoller wäre es die Ressourcen zu nutzen, z.B. in dem die Arbeitsbelastung im Team verteilt, Tätigkeiten rotiert oder Wünsche der Berater*innen ein neues Projekt zu bekommen berücksichtigt werden.

 

Aus individueller Sicht ist ein „Nein“ zu einer Situation immer ein „Ja“ zu einem neuen Abschnitt. In einem Boreout kann man erkennen, was einem beruflich wirklich wichtig ist: Von Inhalten über Rollen bis Umfeld. Die Kraft zu einem anschließenden „Nein, ich bin nicht bereit das weiter auszuhalten!“ ist immer schwierig aufzubringen. Gleichzeitig ist es der erste Schritt für Veränderung: Sei es im Projekt, in einem neuen Projekt oder in einer neuen Firma.

 

Wir sollten nicht vergessen: Auch Berater sind von Boreouts betroffen. In dieser Zeit den Mut und die Kraft zu finden sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, ist ein Schritt in eine erfülltere Zukunft.

 

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